Denken wir Licht?

Vom göttlichen Mythos zur Quantentheorie

Licht ist seit Jahrtausenden ein Gegenstand menschlicher Betrachtung und Verehrung. Jede Kultur schreibt ihre eigene „Geschichte des Lichts“ – und erzählt damit auch die Geschichte ihrer Bewusstseinsart.

In den alten Kulturen ist das Licht göttlichen Ursprungs.

Im alten Ägypten (ungefähr 4000-300 v. Chr.) sind Sonne und Mond die beiden Augen des Himmels- und Lichtgottes Horus, der wiederum der Sohn des Sonnengottes Ra (oder Re) gilt. Ra ist der Vater aller Götter, sein Blick ist das Leben selbst, das Sonnenlicht lebendiger Ausfluss seines göttlichen Auges. Das Tageslicht ist Ras Blick auf die Menschen. Im Tageslicht stehen bedeutet, im Blick des Sonnengottes zu stehen.

Ich bin der, der seine Augen öffnet, und es wird Licht: wenn sich seine Augen schließen senkt sich Dunkelheit herab.

Worte des ägyptischen Gottes Ra im Turiner Papyrus, 1300 v. Chr
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Das persische „Avesta“

gilt als eine der ältesten und wichtigsten Religionsurkunden der Menschheit. Ihre Texte gehen auf den großen Weisheitslehrer Zarathustra (ca. 800 v. Chr.) zurück und beschreiben, wie der weise Lichtgott Ahura Mazdao (pers. „Große Sonnen-Aura“) die Welt zunächst in einem rein geistigen, unkörperlichen Zustand erschafft. Es folgt eine zweite, materielle Schöpfung, die von Ahuras Widersacher Anromainyus (der „böse Geist“, Angra Manju, der spätere Ahriman) angegriffen und mit der ihm eigenen Dunkelheit dämonisch durchsetzt wird. Die physische Existenz wird zu einer Mischung von Licht und Dunkelheit, in deren Mitte der Mensch sich für seinen Weg zu entscheiden hat. Der extreme Gegensatz von Gut und Böse, Licht und Finsternis prägt die altpersische Kultur.

Im antiken Griechenland hat das Feuer

einen zentralen Platz in der Mythologie. Der Titan Prometheus („der Vorausdenkende“) bringt Zeus‘ Feuer zu den Menschen – und muss für seine unerlaubte Gabe bitter büßen: er wird an einen Felsen gekettet, wo ihm ein Adler jeden Tage in Stück seiner Leber herausreißt. Die Menschheit aber kann mit dem Feuer und dem Licht des Zeus Zivilisation, Kultur und schließlich auch den technischen Fortschritt begründen.

Der Sonnengott Helios lenkt den von vier Hengsten über den Himmel gezogenen Sonnenwagen, er ist verantwortlich für den Lauf der Sonne über den Tag hinweg. Am Anfang und Ende dieser täglichen Reise der Sonne standen seine Schwestern Eos, die Göttin der Morgenröte und Selene, die Mondgöttin. Auch in Griechenland werden die Gestirne noch als göttliches Sein und Wirken erlebt.

Apollon ist, etwas später, nicht mehr die Verkörperung der Sonne, sondern der Gott des Lichtes, der Heilung, des Frühlings, der Kunst und der Weissagung. Sein Name wird auch gedeutet als A-pollon („der Nichtviele“), zusammengesetzt aus a- („nicht“) und pollón („viel“). Damit steht Apollon für das Eine, höchste, absolut transzendente Prinzip, das Gegenteil der Vielheit.

Das zuvor in allen Naturerscheinungen wesenhaft ausgebreitete göttliche Prinzip wird zum Einen Gott, und der ist ein Gott des Lichtes.

Die äußere Welt sehen können wird als Fähigkeit des Menschen erlebt – und Blindheit ermöglicht eine innere, seelisch-geistige Sicht. Sie ist verkörpert in Homer, dem „blinder Sänger“ oder Teiresias, dem „blinder Seher“.

Ein halbes Jahrhundert vor Christi Geburt entwickelte schließlich der griechische Philosoph Empedokles, der im heutigen Sizilien lebte, eine erste „Theorie“ des menschlichen Sehens: Das menschliche Auge ist ihm eine Laterne, die am Urfeuer der Schöpfung entzündet wurde. Wenn es sich öffnet, sendet es seine Strahlen in die Welt, und mit diesen Strahlen „sieht“ Mensch sieht. Das Auge als „Laterne“, das Licht aussendet, bleibt lange gängiges Bild des Sehens.

Bei den Griechen wird das Göttliche Licht also schließlich zum individualisierten Licht des menschlichen Auges, durch das Göttliches strömt.

Auch im hohen Norden wird vom Licht erzählt:

Hier fährt Sól mit ihrem Wagen über den Himmel, der gezogen wird von den beiden Pferden Arvakr („der Frühwache“) und Alsvidr („der Allgeschwinde“).

Sól ist auf der Flucht vor dem Wolf Skalli. Erreicht er sie, ist die Zeit des Weltuntergangs, Ragnarök, gekommen. Doch Sol bekommt eine Tochter, die die Aufgabe ihrer Mutter übernimmt – damit bleiben die Sonne und ihr Lauf auch in der Neuen Welt bestehen.

Die biblische Schöpfungsgeschichte

ist eine weitere Geschichte vom Licht. Und das Motiv zieht sich weiter durch die Texte der beiden Testamente: von Moses bis Jesaja, bei Johannes, Mattäus und Lukas, in der Apostelgeschichte, den Psalmen und den Apokryphen geht es um das "Licht der Welt", aus Gottes Hand in der Schöpfung empfangen, durch den Sohn Jesus Christus auf der Erde verbreitet, soll es schließlich im Menschen selbst aufleuchten und ihn ebenfalls zu Licht werden lassen.

Das Buch Genesis beginnt:

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! und es ward Licht. Und Gott sah, daß das Licht gut war.

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Das Wesen des Lichtes

wird in den alten Kulturen zunächst als ein Göttliches verstanden. Im Menschen wird es als wirksames Abbild des Göttlichen erlebt. Sehen und Erkennen werden in der griechischen Philosophie als aufeinander bezogene Einheit verstanden, ein „inneres Feuer“ erleuchtet den Menschen, das Augenlicht strahlt aus und verleiht den wahrgenommenen Sinneseindrücken Bedeutung. Noch bis in die Aufklärung hinein galt Sehen als ein seelisch-geistiger Prozess.

„Wär nicht das Auge sonnenhaft,
die Sonne könnt es nie erblicken.
Läg nicht in uns des Gottes eigne Kraft,
Wie könnt uns Göttliches entzücken?“

Johann Wolfgang von Goethe, Zahme Xenien
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Mit dem Aufkommen der modernen Naturwissenschaften

ändert sich das: das Licht wird materiell-mechanisch verstanden, das Sehen zunächst noch als ein physischer Prozess, der eine seelische Reaktion im Inneren des sehenden Menschen hervorruft.

Stufenweise wird dann der Begriff „Licht“ immer mehr eingeengt und auseinandergelegt. Die „göttliche Einheit“ zerfällt in unterschiedlich gefärbte Blickrichtungen: Licht wird von Physikern wissenschaftlich behandelt, von religiösen Denkern und Philosophen symbolisch, von Künstlern künstlerisch und von Technikern technisch.

Und ein rein technisch aufgefasster Begriff des Lichts

als „sichtbarer Teil des elektromagnetischen Spektrums“ liegt heute dem allgemeinen Verständnis von Licht zugrunde und beeinflusst, was wir im Kunstlicht verfügbar haben. Dabei geht nicht nur der geistig-seelische Aspekt von Licht verloren, sondern auch Erkenntnisse aus der Naturwissenschaft: Die prinzipielle Unsichtbarkeit des Lichts und damit auch das „unsichtbare“ Wirken auf den ganzen Leib steht nicht mehr in Zusammenhang mit den Normen der Lichttechnik. Das psychologisch-neurowissenschaftliche Rätsel, wie aus optischer Wahrnehmung (z. B. von Farben) innere Erlebnisse werden, spielt zwar in der Werbepsychologie eine Rolle, nicht aber für ein mögliches neues Verständnis des menschlichen Erkenntnisvermögens.

Das Geheimnis des Lichtes beschäftigt forschende Geister allerdings noch immer: Denn die Quantentheorie hat schon zu Beginn des letzte Jahrhunderts entschlüsselt, dass die zitierten, vereinfachenden Konzepte von Licht nicht tragen. Sie versteht Licht als eine Dualität von Wellen und Teilchen, die sich je nach Betrachter unterschiedlich zeigt. Gerade in der Physik tritt die Problematik eines rein mechanistischen Lichtbegriffes deutlich zutage, und ist bis heute Gegenstand zahlloser Auseinandersetzungen. Wir beherrschen die Technik, aber an der Frage, was Licht wirklich ist, scheitert die Naturwissenschaft bis heute.

Durch das Licht, das in natürlichen Dingen scheint, steigt man empor zu dem Leben, das über sie herrscht.

Giordano Bruno (1548-1600), italienischer Naturphilosoph
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Wir dachten immer, wenn wir Eins kennen, dann kennen wir auch Zwei, denn Eins und Eins sind Zwei. Jetzt finden wir heraus, daß wir lernen müssen, was und bedeutet.

Sir Arthur Eddington (1882-1944), englischer Physiker
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